Der Braun-Designer Oliver Grabes will an die ikonenhaften Entwürfe von einst anknüpfen und diese ins Heute übertragen. Kann das funktionieren?
Wofür steht Braun? Für Funktionalität und absolute Reduktion, für Dieter Rams und seinen Schneewittchensarg. Die Marke mit dem übergroßen A in der Mitte ihres Schriftzugs ist zwar noch immer in den meisten deutschen Haushalten mit mindestens einem Gerät vertreten, doch was ist Braun heute? 1995 schied Dieter Rams aus dem Unternehmen aus, die Marke wurde an den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble verkauft, die reduzierte Designsprache der letzten Jahrzehnte schien nicht mehr zeitgemäß. Für eingeschworene Braun-Fans markierte Dieter Rams’ Weggang auch das Ende der Braun-Ära. Doch nun erscheint Oliver Grabes auf dem Radar: Der Head of Corporate Design knüpft an die ikonenhaften Designs von einst an und überträgt sie ins Jetzt. Kann das funktionieren?
Herr Grabes, im Zeit Magazin stand kürzlich, Braun stelle nur noch Rasierapparate her. Stimmt das?
Nein, die Marke ist nach wie vor in vielen Bereichen vertreten, nicht nur in der Barthaarpflege, dem Haarmanagement, oder wie Sie es nennen wollen. Braun macht auch andere Haushaltsgeräte und Uhren. Mit unserem Designteam bei Procter & Gamble konzentrieren wir uns jedoch auf den Beautybereich und damit auch auf Rasierapparate. Vielleicht ist das verwirrend.
Oliver Grabes, 48 Jahre,
Träger von rund 30 internationalen Design-Auszeichnungen, ist seit 2009 Chefdesigner bei Braun. Zuvor war er für internationale Unternehmen wie Panasonic, Sony und Nike tätig. Er lehrt Industrial Design an der Bergischen Universität Wuppertal.
Vielleicht ist manch einer auch verwirrt, weil die Lizenzen für Uhren und Haushaltsgeräte vor ein paar Jahren an andere Firmen abgegeben wurden. Außerdem heißt es seit Längerem, dass Procter & Gamble die Marke Braun möglicherweise verkauft. Recht komplizierte Verhältnisse für eine Marke, die doch immer für absolute Klarheit stand.
Als ich 2009 zur Marke stieß, war es wichtig, dass wir uns fragten: Was ist Braun Design heute? Für die Leute war es nicht mehr erkennbar. Es gab viele tolle einzelne Produkte, aber keine klare Linie. Dabei sind wir in einer sehr guten Situation: Wir haben mit der Marke eine spannende Vergangenheit, die wieder aktuell ist, weil sie mit der Reduktion, die Besinnung aufs Weniger und die Qualität genau die Aspekte repräsentiert, die heute gefragt sind und die zum Standort Deutschland passen. Denn das ist unsere Expertise: Die meisten deutschen Ingenieure können gar nicht anders, als die Dinge so gut zu machen, wie es irgendwie geht.
„Es ist ein Zeichen der Zeit, dass wir zum Einfachen zurückkehren. Wir sind des Modischen überdrüssig geworden, zumindest bei bestimmten Produktgruppen“.
– Oliver Grabes
Wieso hatte Braun seine klare Linie überhaupt verloren?
Es gab eine Zeit, da hatte man vom typischen Braun-Design genug. In den 90ern haben sich die Arbeitsmittel stark verändert. Davor wurde alles, wie auch bei Architekten üblich, am Reißbrett entworfen. Daher sahen Braun-Produkte lange sehr geometrisch aus. Dann hat der Computer auch den Entwurfsprozess im Design verändert und plötzlich waren auch schwierige Formen mit krummen Flächen möglich. Selbst bei Apple – man denke nur an den ersten iMac und all die transparenten Produkte.
Braun-Design
Max Braun gründete das Elektrogeräteunternehmen 1921 in Frankfurt am Main, 1951 übernahmen die Söhne Arthur und Erwin Braun die Leitung. Für Erwin war Modernität nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch des Designs. Mit namhaften Gestaltern, teils aus dem Bauhaus-Umfeld sowie dem Innenarchitekten Dieter Rams, entstand ab Mitte der 1950er-Jahre das heute weltweit bekannte, puristische Braun-Design. Bis 1995 war Dieter Rams Leiter der Formgebung. Steve Jobs und Jonathan Ive schätzten die Designprinzipien Rams’, bei einigen Apple-Entwürfen soll sich Ive maßgeblich davon beeinflussen haben lassen. Heute gehört Braun zum amerikanischen Konsumgüterkonzern Procter & Gamble. Die meisten Produkte werden in Walldürrn im Odenwald produziert, es gibt ein weiteres Werk in China.
Heute gelten die Braun-Produkte aus der Ära Dieter Rams wieder als sehr modern. Wieso eigentlich?
Es ist ein Zeichen der Zeit, dass wir zum Einfachen zurückkehren. Wir sind dem Modischen überdrüssig geworden, zumindest bei bestimmten Produktgruppen. Da wollen wir Qualität, Funktionalität und einen Wert, der damit einhergeht.
Sie sind mit dem Ziel zur Marke gekommen, die alten Designs wieder aufzunehmen und mit den heutigen technischen Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Sie konzentrieren sich dabei vor allem auf den Beauty-Bereich. Was ist mit den für damalige Zeiten so revolutionären HiFi-Produkten? Der Schneewittchensarg, die legendäre Kombination aus Plattenspieler und Radio, würde doch mit Sicherheit gut laufen.
Diese Frage führt bei uns immer wieder zu Diskussionen. Schaut man sich die erfolgreichen Marken heute an, stellt man fest, die meisten spezialisieren sich auf die Dinge, die sie als Bester oder Zweitbester machen. Denn für diejenigen, die alles machen, sind die Zeiten schwierig – man ist in nichts richtig gut. Zum Beispiel Sony: Im Design waren die ganz vorne, die haben tolle Produkte gemacht, doch irgendwann wurde es schwer, diesen Status bei dem großen Sortiment zu halten. Apple hat sich zunächst auf wenige Produkte konzentriert, auch wenn sich das gerade ändert, haben sie so eine starke Eigenständigkeit schaffen können. Bei uns ist dies der Bereich Grooming: In allem, was mit Körperpflege zu tun hat, wollen wir wieder die Besten sein. Deshalb haben wir auch die Lizenzen für Uhren von 2011 an Zeon abgegeben und die für kleine Haushaltsgeräte an De’Longhi – die beiden Unternehmen sollen mit ihrer Expertise die Marke Braun in diesen Produktbereichen vorantreiben.
„Schon sehr früh steckte tief in mir der Wunsch, Dinge einfach und im Umgang verständlich zu machen. Ich konnte nicht begreifen, warum manches so kompliziert sein muss“.
– Oliver Grabes
Bereits als kleiner Junge begeisterten Sie sich für Autos und Objekte, als Sie 14 wurden, war klar, dass Sie Industriedesigner werden wollen. Woher kam Ihre Zielstrebigkeit?
Die Begeisterung vieler Produktdesigner beginnt mit Autos, weil diese sichtbar und offensichtlich gestaltet sind. Den meisten jungen Leuten ist nicht klar, dass heute im Grunde alles gestaltet ist – selbst Produkte, die man leicht übersieht. Auch wenn Apple mit dem iPod und dem iPhone viel verändert hat: Das Design von Produkten wird kaum wahrgenommen. Ich lehre an der Bergischen Universität Wuppertal und wir fragen uns immer wieder, warum nicht mehr Leute Produktdesign studieren wollen. Wer es studieren will, möchte dann häufig Autos designen. So war es bei mir auch – bis ich begriff, dass Autos alle sehr ähnlich sind. Das war Anfang der 80er, die Zeit als die ganzen Computer aufkamen, Commodore 64 und so. Ich ahnte, da passiert gerade etwas ganz Neues und da muss ich dabei sein. Tja, und so wurde Produktdesign dann ein sehr wichtiger Teil in meinem Leben.
Zunächst sollen Sie an der Technik der Computer verzweifelt sein. Gleichzeitig sagen Sie, genau diese Verzweiflung war die beste Schule. Was genau haben Sie gelernt?
Die ersten Computer damals waren unglaublich sperrig. Man musste im Grunde programmieren können, um überhaupt irgendwelche Funktionen bedienen zu können. Schon da steckte wohl tief in mir der Wunsch, Dinge einfach und im Umgang verständlich zu machen. Ich konnte nicht begreifen, warum das so kompliziert sein musste. Es gab ja andere Kategorien, wie den HiFi-Bereich, wo mitunter durch Braun gezeigt wurde, dass es auch anders geht.
Wie definieren Sie gutes Industriedesign?
Ich bin in Deutschland aufgewachsen, bei uns gab es viele Braun-Sachen – von klein auf prägte mich die Marke. Für mich war klar: Produkte, die gut funktionieren, sind einfach und funktional gestaltet. Dass das nicht so sein musste, begriff ich erst später. Es muss eine Balance entstehen zwischen der logischen Funktionalität im Umgang auf der einen Seite, denn darum kauft man das Produkt, und dem Emotionalen auf der anderen Seite, denn man will schließlich auch begeistert werden.
Wie belastend ist es, ein derart starkes Marken-Erbe wie das von Braun zu verwalten?
Gerade die ersten Jahre, die Interviews, die da geführt wurden, waren schwer. Wir konnten nichts zeigen und immer nur erzählen, wir wollen, wir würden gerne, wir haben jetzt, aber es ist leider noch nicht auf dem Markt. Langsam wird es einfacher. Man kann einiges sehen und damit verdeutlichen, dass wir tatsächlich an das Erbe anknüpfen. Das heißt nicht, dass jeder das, was wir machen, perfekt findet. Aber da unsere Produkte durch viele Wettbewerbe von anderen Designern ausgezeichnet wurden und am Markt sehr erfolgreich sind, bekommen wir mehr Rückenwind.
„Dieter Rams ist ein faszinierender Mensch – er hat eine unglaublich klare Haltung und macht keinerlei Kompromisse. Er bestärkt einen darin zu sagen: Leute, genau so und nicht anders“.
– Oliver Grabes
Wie nervös waren Sie, bevor die ersten unter Ihrer Leitung entstandenen Braun-Produkte lanciert wurden?
Das ist ein so langwieriger Prozess, dass sich die Aufregung mit Markteintritt des Produkts in Grenzen hält. Doch ich erinnere mich an ein Gespräch mit Dieter Rams, wir treffen uns ab und zu, er wohnt ja hier in Kronberg. Rams wusste, dass wir wieder an die von ihm geprägte Ära anknüpfen wollen. Als der entscheidende Moment kam und wir ihm die erste Serie, die Series 5, zeigen wollten, da war ich verdammt aufgeregt. Doch, Gott sei Dank, fand er gut, was wir dabei hatten. Klar, er würde manches anders machen, das hat er ganz direkt gesagt, aber ihm gefiel die Richtung.
Sagt Dieter Rams immer, was er denkt?
Rams ist ein faszinierender Mensch – er hat eine unglaublich klare Haltung und macht keinerlei Kompromisse. Das ist sehr inspirierend. Und er bestärkt einen darin, auch nicht ständig nach Kompromissen zu suchen, sondern zu sagen: Leute, genau so und nicht anders.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Vor allem diese Haltung. Dass man sich ruhig darauf besinnen darf, nicht zu schauen, was der Wettbewerb macht, sondern zu sagen: Wir wissen, was passiert, doch das wollen wir so nicht und darum ist Braun anders. Wir wollen unseren Weg gehen. Wir glauben, dass viele Menschen Qualität gut finden. Qualität im Design, in der Technik, dass etwas lange hält.
Natürlich. Wer will das nicht?
Es gibt ausreichend andere Beispiele: Man kauft ein Produkt, und dann sind zwei Jahre um, die Garantiezeit ist vorbei und das Produkt ist kaputt. Es ist gestalterisch nicht mehr aktuell, funktioniert nicht mehr gut. Die Menschen wollen so etwas eigentlich nicht. Der Widerspruch dabei ist: die Dinge verkaufen sich trotzdem.
Rams ist seit 1995 offiziell nicht mehr für Braun tätig. Wie eng war die Verbindung zwischen Braun und Dieter Rams, bevor Sie zur Marke stießen?
Der Kontakt wurde eigentlich dann erst wieder möglich. Mit seinem Weggang gab es ja den Neuanfang durch 3D und CAD, das sehr klare, geometrische Braun-Design sollte verändert werden. Damals wurde auf allen Ebenen eine kontrastierende Haltung gesucht, man wollte nicht mehr machen, was vorher gemacht wurde. Alles sollte bunter, schräger und andersartig sein, es ging mehr um einzelne, neue Ideen als um eine Gesamtsprache. Das war eine Zeit, in der sich auch Rams vom Unternehmen entfernte. Doch mit dem Anknüpfen an die ursprünglichen Grundwerte fand wieder ein Annäherungsprozess statt.
Sie sagen, in der Ära von Rams konnten Designentscheidungen direkter, schneller getroffen werden. Warum?
Da würde mir Dieter Rams vielleicht widersprechen. Doch damals war Braun eine kleinere Firma mit weniger Leuten – heute ist es ein komplexes, multifunktionales Team. Von der rechtlichen Seite bis zur Plattformstrategie, der Marktsituation, den Produktionsstätten, alles muss bedacht und diskutiert werden – das Design hat überall Einfluss. Produkte zu verabschieden, wird dadurch viel aufwändiger. Und heute ist der Einfluss der Produkte größer. Der Markt war damals vorrangig europäisch. Heute gehen die Produkte um die Welt. Da müssen wir natürlich schauen, was die Leute in Japan und in China wollen. Dort müssen die Dinge ja auch funktionieren.
Tipp: Braun Design Sammlung Berlin
Versteckt in einer normalen Wohnstraße in Berlin-Moabit liegt dieses kleine Juwel: Die private Braun-Sammlung von Werner Ettel umfasst über 1.000 Objekte. Sämtliche von den legendären Gestaltern Dieter Rams und Hans Gugelot entworfenen Design-Klassiker sind hier zu finden, von den berühmten Tischradios TS-G oder G 11 bis zu einer eine ganze Wand einnehmende Bibliothek, und natürlich auch der als Schneewittchensarg bekannte Braun SK 4. Die Kombination aus Radio und Plattenspieler gilt als eines der ersten und wichtigsten Produkte, die das Braun-Design repräsentierten. Ein Besuch der Sammlung lohnt: Die Betreiber sind nicht nur passionierte Sammler und Braun-Fans, sondern auch begnadete Geschichtenerzähler.