Bloß keine 3D-Renderings mit perfekten Abmessungen, stattdessen Ballett-Tänzerinnen und abstrakte Soundwelten: durch poetisch-künstlerische Inszenierungen verleiht die Designmarke New Tendency ihren Produkten viel Sinnlichkeit.
11.30 Uhr in Berlin-Kreuzberg. Nur wenige Minuten vom U-Bahnhof Kottbusser Tor entfernt sitzt die Designmarke New Tendency. Eine 250 Quadratmeter große Fabriketage, unterteilt in zwei riesige Räume. Während das Leben auf den Straßen im kreativen Kreuzberg gerade erst erwacht, herrscht bei New Tendency schon seit Stunden Hochbetrieb. Die Marke der Brüder Manuel und Christoph Goller und Sebastian Schönheit steht für minimalistische, konzeptionelle und vor allem zeitlose Entwürfe, die fast ausschließlich „handmade in Germany“ sind. Um Objekte wie das Click Shelf, das in Zusammenarbeit mit dem Designer Sigurd Larsen entstanden ist, oder der Beistelltisch Meta, der anmutet wie ein kleines Pult, in Deutschland fertigen zu lassen, muss man sich eben nach den Arbeitszeiten der Hersteller richten und das bedeutet: früh erreichbar sein. „Um 14 Uhr ist bei den meisten Feierabend, dann geht da niemand mehr ans Telefon“, sagt Christoph Goller.
Alle Ihre Produkte sind „handmade in Germany“ – warum fertigen Sie in Deutschland?
Manuel Goller: Uns ist sehr wichtig, die Kontrolle über die Qualität unserer Produkte zu haben. Da bietet sich mit unserem Standort Berlin Deutschland als Produktionsland natürlich an. Aber wir beschränken uns nicht streng auf „Made in Germany“. Unsere Gläser fertigen wir in Tschechien, weil es dort eine langjährige Glasbläser-Tradition gibt und wir die Gläser dort in höherer Qualität fertigen lassen können.
„Wir versuchen, Genres aufzubrechen. New Tendency ist eher eine Bewegung, eine generelle Einstellung zum Design“
– Manuel Goller
Sie sagen, Sie seien fast besessen, wenn es um die Qualität Ihrer Produkte geht. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie anstrengend sind Sie als Aufraggeber?
MG: Schon sehr anstrengend. Einige unserer Zulieferer arbeiten viel für die Großindustrie. Wir sind da eher ein kleiner Kunde. Allerdings können wir unsere Zulieferer fast immer mit unserer Ästhetik und unserem hohen Anspruch überzeugen. Wir sind zwar anstrengend, aber sympathisch und fordern den Ingenieursgeist und das kreative Denken unserer Partner.
Christoph Goller: Uns ist die Idee von Partnerschaften wichtig. Wir wollen ein nachhaltiges Unternehmen aufbauen mit nachhaltigen Beziehungen. Wir haben immer noch Zulieferer, mit denen wir vor Jahren unsere ersten Tische gemacht haben. Damals noch Einzelstücke. Inzwischen sind wir mit unseren Partner gewachsen.
Sie wollen keine klassische Möbelfirma sein – was ist so schlimm daran?
MG: Wir kommen nicht aus der Möbelwelt. Schaut man sich Thonet oder Vitra an, sind das oft Familienunternehmen, die über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gewachsen sind und die schon immer einen Bezug zur Möbelindustrie hatten. Wir sind Gestalter, wir interessieren uns sehr für Objekte und Materialien, und haben durch unser Studium an der Bauhaus-Universität eine interdisziplinäre Prägung. Wir wollen nicht nur einen Typ von Möbeln produzieren, wie es in der Branche oft üblich ist. Die italienische Marke Cassina macht hauptsächlich Sofas, Vitra hat sich eher auf Stühle und Office-Lösungen spezialisiert, Thonet auch auf Stühle. Wir wollen mit unterschiedlichen Typologien und Materialien spielen. Im Moment arbeiten wir an einer Tagesdecke die sich an der Schnittstelle zwischen Mode- und Produktdesign bewegt. Wir versuchen, Genres aufzubrechen. New Tendency ist eher eine Bewegung, eine generelle Einstellung zum Design und weniger „New Tendency – das Möbellabel“.
Sie konzentrieren sich auf Alltagsgegenstände. Warum sind gerade diese so reizvoll?
CG: Weil es toll ist, Produkte zu machen, die zum aktiven Teil des Lebens vom Kunden werden. Der Kosmos Wohnung ist etwas sehr Persönliches und Emotionales. Unsere Produktqualität in das Leben anderer zu bringen, dass jemand es toll findet, aus genau diesem Glas seinen Wein oder sein Wasser zu trinken – das löst eine große Faszination bei uns aus.
Für Ihre Entwürfe arbeiten Sie mit Architekten und Künstlern zusammen. Den Beistelltisch Meta ließen Sie von dem jungen, sehr gefragten Modefotografen Jonas Lindström inszenieren. Warum ein Modefotograf?
MG: Da grenzen wir uns klar von den klassischen Möbelunternehmen ab. Dort geht es ja eher darum, ein Möbel möglichst realistisch zu inszenieren, weil das auch als Verkaufstool dient. Wir versuchen in der Kommunikation abstrakter zu denken, wir glauben, dass Produkte eine künstlerisch-poetische Note haben, die man viel besser fassen kann, wenn man in der Kommunikation freier denkt. Mit Jonas Lindström, der beispielsweise auch für Fendi, Calvin Klein und Kostas Murkudis arbeitet, haben wir ein paar Filme gemacht, einmal war eine Balletttänzerin die Protagonistin, da spielte das Thema Licht eine wichtige Rolle. Es geht darum, die Funktionalität, die Qualität und die Sinnlichkeit eines Produkts zu zeigen, ohne dass wir perfekte 3D-Renderings mit korrekten Abmessungen zeigen – wir wollen ein Gefühl für unsere Produkte vermitteln.
„Wir arbeiten gern mit Leuten, die noch nie Möbel gemacht haben. Bei uns geht es nicht um klassische Fähigkeiten oder eine bestimmte Designsprache, es geht immer um das Gesamtpaket“
– Christoph Goller
Was muss jemand mitbringen, damit Sie mit ihm kollaborieren?
MG: Uns ist der persönliche Bezug wichtig. Entscheidend ist auch, dass man eine gemeinsame Vorstellung von Gestaltung hat. Wir arbeiten eher konzeptionell, denken viel nach, sprechen viel bevor wir in einen Entwurf reingehen. Wir interessieren uns für konzeptuelle Kunst, arbeiten mit Referenzen, die wir neu komponieren, der intellektuelle Austausch in einem Entwurf ist wichtig. Da muss es eine Basis geben.
CG: Wir arbeiten gern mit Leuten, die noch nie Möbel gemacht haben. Bei uns geht es nicht um klassische Fähigkeiten oder eine bestimmte Designsprache, es geht immer um das Gesamtpaket.
Ist ein Portfolio, das ein gesamtes Haus ausstattet, das Ziel – vom Messer bis zum Bett?
MG: Die Idee ist schon, eine Kollektion zu entwickeln, die breit ist. Wir wollen uns nicht auf ein Typ Möbel beschränken. Wir orientieren uns hier eher an Modehäusern, die oft ein sehr breites Spektrum an Produkten anbieten. Die Klammer um die Produkte ist für viele sehr reizvoll und spannend.
An welche Objekte haben Sie sich noch nicht rangewagt?
MG: Eine Menge. Wir haben aktuell nur 12 Produkte in unserer Kollektion, das finden wir auch ganz gut so – wir lassen uns gerne Zeit mit der Entwicklung von neuen Produkten. Deshalb versuchen wir uns auf Sachen zu fokussieren, die wir verstehen und die wir in hoher Qualität herstellen können.
Was wäre ein so komplexes Produkt?
MG: Ein Sofa, ein Sessel oder auch ein Lounge Chair. Da geht es um die richtige Polsterung, die Ergonomie ist wichtig …
Oder ein Bett? Es gibt kaum schöne Betten.
MG: Betten sind komplex, ja. Es steckt viel unsichtbares Wissen und Technologie in jedem Bett. Zufälligerweise entwickeln wir gerade ein Bett mit unseren Freunden von Muun, das später im Jahr vorgestellt wird. Das Produkt erhält zudem ein Gewicht, wenn man bedenkt, wie viel Zeit ein Mensch durchschnittlich mit diesem Möbel verbringt.
Zunächst ist Ihr Unternehmen als Studienprojekt gestartet, sie nannten es „My Bauhaus is better than yours“. Dann gab es Ärger mit dem Baumarkt Bauhaus. Was war das für ein Moment, als Sie begriffen, dass Sie gegen diesen Giganten nicht ankommen und sich von dem Namen verabschieden müssen?
MG: Das war vor dreieinhalb Jahren während einer Ausstellung auf der Art Berlin Contemporary. Wir waren eigentlich sehr euphorisch, denn zu dem Zeitpunkt gab es die Firma zwar bereits eine Weile, bis dahin hatten wir aber nur sporadisch an den Produkten gearbeitet, jeder von uns hatte parallel noch andere Jobs. Kurz vor der Ausstellung hatte ich meinen gekündigt, bin voll eingestiegen. Wir waren glücklich, die Möglichkeit zu haben auf der Messe auszustellen. Und dann kam der Anruf von der Kanzlei.
Sie wussten von nichts?
MG: Wir waren im Briefkontakt mit dem Baumarkt, es gab ein Einigungsgespräch, doch einen Tag vor der Messe kam der Anruf, dass wir eine Unterlassungserklärung unterschreiben sollten.
CG: Das war eine sehr intensive Zeit. Ich war damals eher Beobachter und brüderlicher Unterstützer. Innerhalb von einer Woche musste alles abgewickelt werden. Im Nachhinein war es ein grundlegendes Ereignis, das möglich gemacht hat, was wir heute haben. Es entstand ein Gefühl von: Okay, dann starten wir eben noch mal neu.
Und das war gut?
MG: Ja, total. Wir wurden aus dem Nest geschmissen. Vorher hatten wir eher Angst, dass das Bauhaus in Dessau ein Problem mit dem Namen haben könnte. Aber die haben Artikel über uns geschrieben und fanden unseren Ansatz gut. Mit dem Baumarkt hatten wir nicht gerechnet. Wir mussten uns erst einmal eine Woche lang neu sortieren, dann saßen wir zusammen und beschlossen: Jetzt erst recht! Daher kommt auch der Name: New Tendency. Das ist eine Art Slogan –„richtungsweisend“. Es war wie ein Erwachsenwerden – auch von dem Auftreten der Marke her.
Alle „Bauhaus-Namensrechte“ liegen beim Baumarkt. Wer hat da eigentlich geschlafen?
MG: Mies van der Rohe hatte die Firma 1933 aufgelöst. Danach hat sich einfach niemand mehr darum gekümmert, den Namen zu schützen. Heinz-Georg Baus, so heißt der Baumarkt-Gründer, hat das Wort dann Ende der 50er in Deutschland und 2000 auch die europäische Wortmarke schützen lassen. Das Wort Bauhaus ist also sein Eigentum.
Eine Katastrophe!
MG: In den 70ern gab es einen Rechtsstreit zwischen dem Baumarkt und dem Bauhaus Archiv hier in Berlin, da durfte aber nicht drüber gesprochen werden, wahrscheinlich haben die sich außergerichtlich geeinigt. Als wir 2012 die Abmahnung erhielten, war der Baumarkt auch im Rechtsstreit mit der Bauhaus Stiftung in Dessau. Das Absurde ist, eine Keramik-Vase fällt in dieselbe Schutzklasse, die so genannte Nizza-Klassifizierung, wie zum Beispiel ein Waschbecken. Markus Zehentbauer berichtete dann in der „Süddeutschen Zeitung“ über diesen kulturellen Missstand und Alice Rawsthorn in der „New York Times“.
„Die Kommunikation in der neuen Generation an Käufern ist interessant – es bilden sich Interessens- und Stilcluster, die es überall gibt. Dabei geht es um dasselbe Mindset, nationale Grenzen spielen da keine Rolle“
– Christoph Goller
Sie sind unter anderem auch in Seoul, New York, Kopenhagen vertreten. Wie scharf ist man im Ausland eigentlich auf deutsches Design?
MG: Aus den USA kommen immer mehr Anfragen. Das klassische Interior dort ist ja sehr holzlastig, mit viel Teppich, alles etwas englisch. Jedoch gibt es dort auch eine richtige Gegenbewegung, jüngere Leute, die sich gezielt davon absetzen wollen. Generell existiert eine internationale Begeisterung für europäisches und auch explizit deutsches Design. Das gilt nicht nur für Möbel, sondern auch für die Mode. Steht man zum Beispiel vor einem Cos-Geschäft in New York – ein totaler Hype!
CG: Die Kommunikation in der neuen Generation an Käufern ist interessant – es bilden sich Interessens- und Stilcluster, die es überall gibt. Dabei geht es um dasselbe Mindset, nationale Grenzen spielen da keine Rolle. Stattdessen gibt es kleinere Nischenmärkte, die in einem Land alleine gar nicht funktionieren würden. Sie schließen sich aber übers Internet zusammen und erhalten so eine Relevanz.
Zum Beispiel?
MG: Schauen wir auf unsere Art der Gestaltung. Die ist ja auch eher speziell und nicht unbedingt super Mainstream. Wenn sich aber ein paar Leute in England, Japan, Frankreich und Deutschland dafür interessieren, entsteht bereits ein großer Markt. Und das ist dann unser spezieller anspruchsvoll-minimalistischer Möbelmarkt – und der hat eben verschiedene Wurzeln.