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„Der erste Eindruck zählt“

News von franziska · Fotos Stefan Hähnel · 9. Mai 2016

Mario Lombardo ist Gewinner zahlreicher Designpreise und Creative Director des Fräulein-Magazins. Er mag: Lebensfeindliche Räume, kaputte Kacheln und hochglanzlackierte Böden. Er mag nicht: Das Bild des sympathischen Designers bedienen.

Mario, mit Ihrem Bureau Lombardo scheinen Sie äußerst gern umzuziehen: Von Köln ging es 2008 nach Berlin-Mitte, dann in den Kreuzberger Graefekiez, jetzt ist es ein anderer Teil von Kreuzberg. Was müssen Räume haben, damit Sie darin arbeiten können?

Mein Büro muss mir Raum geben, mich entfalten zu können. Als wir noch in Köln lebten, hatte ich eine echt harte Zeit. Ich habe in Bremen und Pforzheim gelehrt, viel in Berlin gearbeitet und in Köln lief mein Büro. Ich kam von irgendwoher nachts nach Hause, um kurz zu schlafen und war am nächsten Morgen wieder weg. Die ganze Kommunikation lief telefonisch, meist im Zug bei diesen miesen Verbindungen. Ich kriege noch immer Schweißausbrüche, wenn mich jemand in der Bahn anruft! Als wir nach Berlin zogen, entstand die Idee, eine Art Farm zu haben, wo man zusammen kocht, wo sich Wohn- und Arbeitswelt fließend vereint und alle zu bestimmten Zeiten zusammenkommen. Wir fanden einen passenden Altbau mit einem Garten. Das Ganze führte natürlich schnell zu Grenzüberschreitungen. Ich wollte hin und wieder meine Ruhe, doch jemand kam hoch, um mich nach Designaufgagen zu fragen. Das war schwierig.

Bureau Mario Lombardo
StuhlLeiter
God Bless America

Und Sie mochten das Fischgrätparkett dort nicht. Sie haben mal gesagt, es sei zu massentauglich gewesen, zu eindimensional und daher nicht akzeptabel.

Stimmt, daran habe ich mich nie gewöhnt! Das war so Establishment! Ich mag Kanten und Rauheit. Unsere Räume im Graefekeiz waren dann das genaue Gegenteil: ein schwarzer Boden, kaputte Kacheln, es war kühl, dunkel und ebenerdig – fast ein bisschen lebensfeindlich. Aber ich mochte das, ich wollte das Bild des sympathischen Designers zerstören.

„Mein Kopf ist mein Werkzeug, wenn ich mir selbst keine Grenzen setze, hört das Rattern nie auf“.

– Mario Lombardo

Das jetzige Büro ist wiederum das komplette Gegenteil. Es ist hell und freundlich.

Hier hat man einen weiten Blick, es ist viel Himmel zu sehen. Als wir einzogen, starb gerade meine Mutter. Am Eingang steht ein Tresen, eine Art Altar, die Fenster mit den Farbfolien sind ein Zitat von dem Fenster, das Gerhard Richter im Kölner Dom gestaltet hat. Das übergeordnete Thema für dieses Büro ist die Kirche. Kommt man herein, ist man als erstes in der Küche, die wie eine kleine Barriere zum hinteren Teil funktioniert. Ich probiere heute Grenzen zu ziehen, das war mir lange egal, ich habe gerne mit fließenden Grenzen gespielt, aber ich merke heute, dass ich Grenzen brauche. Gerade weil man als Designer eh schon das Problem hat, den Kopf auszuschalten. Mein Kopf ist mein Werkzeug, wenn ich mir selbst keine Grenzen setze, hört das Rattern darin nie auf.

KücheBücherregal

Ist der Boden das wichtigste Kriterium für Sie bei einer Wohnungs- oder Bürosuche?

Ja, denn er bildet die größte Fläche, die man zur Verfügung hat und bestimmt daher den Raum elementar mit. Den Boden in unserem vorigen Büro mochte ich beispielsweise, weil er so ungestaltet und uneben war. Er war wie der Asphalt auf einer belebten Straße. Der Boden hier jedoch war zuvor rot – das war schrecklich. Unser Handwerker hat ihn dann weiß glänzend gestrichen – ich stehe einfach auf Hochglanz. Der Boden in unserem Atelier Oblique Geschäft in Berlin-Mitte ist auch hochglanzlackiert, nur schwarz, je kaputter der wird, desto mehr mag ich ihn. Boden muss in Gebrauch sein, alles andere ist ein großer Fake. Eigentlich hätte ich in unserem jetzigen Büro gerne einen kleinen Swimmingpool beziehungsweise eine Wasseroberfläche am Boden gehabt. Das war natürlich nicht möglich, jetzt liegen hier gefärbte Plexiglasscheiben, das Licht spiegelt sich darauf zurück und so wird der Boden plötzlich wie ein Fenster wahrgenommen. Das passiert normalerweise nicht. Darauf wird herumgetreten, das ist auch okay, denn dafür ist er ja auch da – aber so ist es schöner.

Farbfolien
Tisch
Detail PorzellanBild
Buch 13

Sie gestalten Magazine, Kataloge, Bücher – wie viel Gestaltung steckt in diesen Büroräumen?

Das passiert automatisch, wie bei Magazinen auch. Ich habe zu viel mit Corporate Identity und Styleguides zu tun, das will ich für mich nicht. Ein eindimensionales Image oder Erscheinungsbild lehne ich für mich ab. Ich mag mein Leben bunt, liebe lose Idee, schaue was sonst noch in mein Universum passt und entwickle daraus einen Fahrplan aus Fragen und Antworten.  So gehe ich eher auf den Raum ein, als dass ich ihm ein Konzept gebe. Das deutsche Denken, das man aus dem Bauhaus kennt, das puristisch Schlichte, die Idee der industriellen, schnellen Fertigung, das finde ich alles sehr attraktiv und spiele auch sehr gerne damit, aber das ist nicht Teil meiner eigenen Lebenswelt, es entspricht auch nicht meinem Gefühl, wie ein Raum sein muss. Ich liebe lebendige Räume. Räume die wachsen, sich verändern, sich anpassen. Somit auch Antworten geben können. Ich arbeite gerne mit Raumtrennern, auch gerne an Stellen, wo andere sagen, das ginge gar nicht. Das habe ich von Mies van der Rohe gelernt. Zum Beispiel sein Barcelona-Pavillon: Es ist ein Megagefühl da drinnen zu stehen, aber wer zum Teufel will da wohnen? Ich würde mich darin nicht bewegen können, ich gucke mir den nur gerne an.

Also hat Mies van der Rohe Sie eher abgeschreckt?

Ja und nein, ich war schon früh großer Fan. Den Barcelona-Chair fand ich in den 90ern super – auch wenn ich mir den nie gekauft habe, weil auch der eigentlich lebensfeindlich ist, er ist kalt und man sitzt nicht gut darin. Dennoch wollte ich Grafikdesign immer so machen wie ein Musikcover oder wie ein Mies van der Rohe Haus. Auch dort ist es das Umfeld, das alles bestimmt. Das Haus wird somit eingebettet. Der Pavillon ist so gut platziert, dass er von allen Seiten einzusehen ist, von manchen Winkeln aus schaut er dann aber komplett anders aus, das Dach scheint plötzlich zu schweben. Diese Tricks habe ich probiert auf die Zweidimensionalität zu übertragen. Deshalb versuche ich immer das Umfeld der Magazine zu sehen. Das gleiche bei einem Raum: Wir haben bei uns Wände als Raumtrenner. Achtet man darauf und fragt sich, was die Wände bewirken, wird klar, ich versperre damit Sichten und gewähre dann einen umso größeren Einblick. Durch sie öffnen sich plötzlich die Räume – wie es in der japanischen Architektur oft vorkommt. So werden Räume zu meiner Lebenswelt, die nicht jeder betreten darf. Sie darf gerne auch mal sehr bodenständig sein, und ist immer etwas verspielt. Auf jeden Fall sollte immer etwas rumstehen, ich mag Unordnung.

„Für mich zählt der erste Eindruck. Entweder ich bin schockverliebt oder nicht. Sich aneinander zu gewöhnen ist nicht mein Ding“.

– Mario Lombardo

Trifft hier Ihr argentinischer Hintergrund auf Ihre deutsche Sozialisierung?

Kann sein, ich denke viel darüber nach. Ob das wirklich so ist? Keine Ahnung. Das wäre auch wieder analysiert. Zum einen stehe ich für ein gewaltiges Chaos, das aber auch wieder in einer bestimmten Ordnung ist – so ist mein Design ja auch.

Büro
Interview Mario Lombardo

Wie viel Gestaltung muss in einem Möbelstück stecken, damit es Ihnen gefällt?

Für mich zählt der erste Eindruck. Entweder ich bin schockverliebt oder nicht. Sich aneinander zu gewöhnen ist nicht mein Ding. So ist das auch bei Magazinen. Der Innenteil muss auch gut sein, keine Frage – aber die Entscheidung fällt beim ersten Eindruck. Das Cover muss mega sein. Und wenn ich einmal verliebt, bleibe ich es auch.

Erinnern Sie sich an das erste Designobjekt in Ihrem Leben?

Das war wohl der 71er Käfer meiner Mutter, in nachtblau, den sie mir zum Führerschein geschenkt hat. Den ist sie ganz lange gefahren, der funktionierte wie eine Alarmanlage – wir hatten einen Hund, der erkannte die Geräusche des Wagens schon von Weitem und machte dann Alarm. So war ich immer vorgewarnt. Das war ein toller Wagen, den hätte ich heute noch gerne, musste ihn aber verkaufen, ich hatte keine Kohle und was sollte ich mit einem Auto?

Detail
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Sammeln Sie Inspirationen, wenn es um die Gestaltung von Räumlichkeiten geht – oder kommt alles aus Ihnen heraus?

Ich sammle Bilder im Kopf. Ich mag große, freundliche Räume und ich mag aus unfreundlichen Räumen schöne Räume machen. Ich würde so gerne eine Kirche gestalten – in freundlich. Nicht wegen der Religion, mir gehts um den Raum. Den Raum für alle. Eine Kirche von heute, wo sich Kultur und Geist in allen Formen treffen. Wo man spricht, isst, lacht, singt, tanzt, arbeitet, und einem Glauben folgen kann – welcher auch immer das sein mag. Ich finde, man wird in solchen Gebäuden oft klein gemacht, darf dies oder jenes nicht. Als ich hierher kam, fragte ich mich: Wie kriege ich das hin, dass sich hier jeder groß fühlt und jeder frei arbeiten kann.

The Alphabet Collection, Atelier Oblique

2015 von Mario Lombardo gegründet, ist das Atelier Oblique ein Dufthaus mit Sitz in der Mulackstraße in Berlin-Mitte. „The Alphabet Collection“ wurde in enger Zusammenarbeit mit dem 1850 gegründeten Haus „Robertet“ in der südfranzösischen Dufthauptstadt Grasse entwickelt. Die Duftkerzen-Kollektion besteht aus 27 Duftkompositionen: den 26 Buchstaben des Alphabets und einem &-Zeichen. Jeder Duft ein sinnlicher Klassiker.

Webseite: www.atelier-oblique.com

Streng genommen sind Sie mit der Gründung von Atelier Oblique in den Interiorbereich eingestiegen. Warum ausgerechnet die Herstellung von Duftkerzen?

Ich komme ursprünglich aus Argentinien, ich war noch ein kleiner Junge als wir 1979, zu Zeiten der Militärdiktatur, nach Deutschland flohen. Erst 16 Jahre später hatten wir erstmals die Chance nach Argentinien zurückzukehren. Im Grunde bin ich heimatlos aufgewachsen. Ich wollte nicht hier sein, fühlte mich nicht zugehörig, Argentinien habe ich verneint, weil das alles so feindlich wurde. Ich wollte kein Spanisch mehr sprechen, sondern nur noch deutsch. Ich wollte nicht der Fremde sein. Als wir in den 90ern erstmals wieder dort waren, fühlte ich plötzlich, dass es doch eine Heimat gibt. Ich wusste anfangs nicht, wo das Gefühl herkam. Erst nach einer Weile wurde mir klar, dass es an den Gerüchen lag. Welche Macht Gerüche haben, finde ich faszinierend. Ein Geruch kann einen Raum verändern. Jeder kennt den Moment, wenn man an einer Kirschblüte vorbeigeht oder einer frisch gemähten Wiese und man plötzlich in eine besondere Situation transportiert wird … Damit wollte ich arbeiten. Lange habe ich probiert, das Thema Geruch in den Corporate Identity Bereich zu übersetzen. Das hat nicht funktioniert, weil mir niemand die Expertise abgenommen hat, und das natürlich Geld und Entwicklungszeit kostet. Nachdem meine Mutter starb, wusste ich, jetzt muss ich das machen – für mich. Und habe Atelier Oblique gegründet.

ysso-mario-lombardo-stilllifeMario Lombardo Portrait
Duftkerzen Atelier Oblique

Zusammen mit dem legendären Dufthaus Robertet in Grasse haben Sie Düfte für ein Duftkerzen-ABC entwickelt, jeder Buchstabe riecht anders. Was riechen wir heute?

Ich finde es toll mit den Düften jetzt so viele unterschiedliche Gefühle triggern zu können, ob Erinnerungen an meine Kindheit oder das Gefühl, Kraft zu geben. Da ist sehr viel eingebettet. Heute brennt ein N und ein X. N ist meiner Mutter gewidmet, es ist eine moderne Rosenkomposition und X ist Extra Bold, sehr holzig, das gibt Ruhe und Stärke. Ich habe auch meine Kette an, heute muss ich ein bisschen stärker sein. Bei Sonnenschein würde ich eher ein D riechen wollen, das duftet nach grünem Tee. Ein ganz leichter Geruch, der beschwingt. Das H ist auch schön, das duftet nach wie eine Alpenwiese im Mai – ein ganz leichter Duft.

Und wenn Sie richtig schlecht drauf sind?

Mache ich keine Kerze an. Dafür bin ich dann viel zu muffelig.

Von jemandem, der so viel und gut über Gestaltung erzählen kann wie Mario Lombardo, wollten wir natürlich wissen: Welche sind seine Top 5 Produkte aus dem deutschsprachigen Raum. Er hat sie uns verraten.