Gut gebettet auf Rosshaarmatratzen

Daniel Heer · Berlin · Deutschland

Etwas fürs Auge und fürs Leben: Daniel Heer fertigt klassisch schöne Rosshaarmatratzen wie schon sein Urgroßvater. Sein Wissen um das seltene Handwerk gibt er jetzt an Flüchtlinge weiter.

Magazin von anna · Fotos Peter Lorenz · 5. Januar 2017

Ein Interview vom Bett aus – von einer Rosshaarmatratze. Das hat man auch nicht alle Tage. Vor allem, wenn der Interviewer in Daunendecken eingemummt daliegt und derjenige, um den es eigentlich gehen soll, vergnüglich davor auf einem Hocker sitzt – und beobachtet.

Ums Probeliegen kommt hier keiner herum. Wer den Rosshaarmatratzenbauer Daniel Heer in Berlin besucht, muss in die Waagerechte. Sein „Schöneberger Zimmer“ ist eine Wohnung, die Gastraum und Werkstatt kombiniert. Und das sachlich eingerichtete Zimmer ist dafür gedacht, die wertvollen, in aufwändiger Handarbeit gefertigten Matratzen auszutesten, bevor man sich für einen Kauf entscheidet. Man kann das Zimmer sogar buchen – für ein paar Stunden oder ganze Nächte.

Daniel Heers Rosshaarmatratzen sind eine Investition fürs Leben. Die Preise beginnen bei 2700 Euro – in Zeiten von Kaltschaumware vom Discounter und Rotstiftkampf sind solche Summen auch als Ansage zu verstehen. Was man für das Geld bekommt, sind Produkte, die bei der richtigen Pflege halten. Nicht vier bis acht Jahre, wie sonst bei Matratzen üblich, sondern 80 bis 100.

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Daniel Herr Porträt

Im „Schöneberger Zimmer“ liegt man unter von Heer gefertigten Daunendecken, die auf Wunsch auch gekauft werden können – sie sind bezogen mit blütenweißen, feinsten Leinen, hergestellt in Italien von dem Traditionsunternehmen Limonta. Durchs Fenster blickt man in einen grünen Innenhof. Zurückhaltende Lampendesigns spenden weiches Licht, während man sich in einem der hier ausliegenden Bücher vom Diaphanes-Verlag vertiefen kann. „Der Verleger hat mir Bücher zur Verfügung gestellt, die inhaltlich zum Thema passen. Was kann man lesen, wenn man nur eine Nacht Zeit hat, oder einen Jetlag? Auf Coffeetablebooks haben wir bewusst verzichtet“, sagt Daniel Heer. Ihm geht es um das Sich-Einlassen – ob auf die Literatur, oder die Matratze.

Rosshaarmatratzen werden gebaut, nicht gestopft

Das Zimmer strahlt etwas Klösterliches aus, als müsste man seine Zeit hier schweigend verbringen. Und eher allein als zu zweit. Obwohl es ein Doppelbett ist, mit zwei verschiedenen Matratzen. Die eine ist mit Ochsenhaar für Leichtgewichte oder Kinder, die andere mit Rosshaar gefüllt. Heer sagt Ross statt Pferd, mit rollendem R – denn er ist Schweizer. So wie Max Frisch vom Rossschwanz schreibt und damit dieser Standardfrisur eine Eleganz verleiht, so ändert es auch die Sicht auf die Matratze. Es macht sie noch wertvoller. „Idealerweise wendet man die Matratze alle zwei Wochen“, erklärt der 38-Jährige, „dann erarbeitet sie das Volumen von ganz allein.“ Aufarbeiten muss man das Stück Handarbeit erst nach 20 Jahren – das Rosshaar wird aber nicht ersetzt, nur aufgefrischt.

„Matratzen werden gebaut, nicht gestopft. Es gibt keinen Zwischenkern, es ist komplett aus einem Material, also Schicht für Schicht“, beschreibt er den Aufbau. Dieser ist für ihn eine Art Modellierung: „Man näht keine Hülle und stopft das Rosshaar hinein, sondern man legt den Stoff aus, der nur gefaltet wird. Es ist ein Stück Stoff, Vorder- und Rückseite sind identisch.“

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Daniel Heer ist mit Rosshaarmatratzen aufgewachsen. Später hat er die Arbeit damit gemieden bis er sie irgendwann neu für sich entdeckte. „Als Kinder mussten wir die alten Matratzen auftrennen, mein Vater hat das Haar dann wieder aufbereitet. Das habe ich nicht gern gemacht“, gibt er zu. Dennoch entschied er sich für die Ausbildung im elterlichen Sattlereibetrieb bei Luzern, anschließend ging auf die Walz, als Sattler und Gestalter. „Danach verstand ich Tradition in einem anderen Kontext“, sagt Heer.

Matratzen bauen so weit seine Arme reichen

Indem er sich in Berlin niederließ statt den Familienbetrieb in der Schweiz zu übernehmen, definierte er den Kontext neu. Mittlerweile reisen seine Eltern regelmäßig an. Sie arbeiten dann mit ihm zusammen. Alle Matratzen werden jetzt in Berlin hergestellt. „Die haben im Souterrain ihre Gastarbeiterwohnung“, sagt er. Und im Schweizer Dialekt klingt das tatsächlich äußerst charmant. „Für sie ist es schön zu sehen, wie die Matratzen in die Welt hinausgehen. Früher wurden sie bei uns mit dem Fahrrad rausgefahren zu den Kunden“, erinnert er sich. Jetzt rufen Interessierte aus aller Welt an. Die Amerikaner fragen nach Matratzen im Kingsize-Format, das Heer gar nicht bedienen kann, weil er nur so weit bauen kann, wie seine Arme reichen. „Queensize ist noch möglich“, lacht er. Die einen nutzen die Matratzen zum Schlafen, die anderen für Daybeds, die auch wie ein Sofa funktionieren können.

Für Daniel Heer ist Schöneberg die dritte Station in Berlin. Fuß gefasst in der Hauptstadt hat er zunächst in einem Kreuzberger Loft – „das haben die Kunden nicht gefunden, dafür fand’s die Presse toll“ –, dann in der Rosa-Luxemburg-Straße in Mitte – „hier wollte ich eine gläserne Werkstatt zeigen, gerade weil es beim Schlafen ja um Reinheit geht“ –, um schließlich beim Gästekonzept zu landen. „Es waren immer Kunden, die mir gesagt haben, wie ihre Bedürfnisse sind“, sagt er. Darauf hat er sich eingestellt.

Eine Werkstatterweiterung für Flüchtlinge

Die Werkstatt könnte auch ein gemütlicher OP-Raum sein, so geordnet reihen sich die Werkzeuge und Garnrollen aneinander. In der Mitte liegt auf einem Holztisch ein praller blauer Sack – eine Denimmatratze in der Mache. Ein paar Messer an der Wand sind Reliquien aus früheren Zeiten, als Heer auch Lederprodukte herstellte. Er setzt sich mit einer Nadel in der Dimension einer Speerspitze auf den Hocker vor das Jeansungetüm, um die Wulst zu stechen, die die Matratze umrunden soll. „Gerade diesen Arbeitsschritt finde ich schön, nicht nur visuell. Man spürt richtig: Jetzt entsteht die Matratze“, sagt Heer, der auch im Fortschreiten des Vormittags beharrlich beim Sie bleibt.

„Wir können viel von den Handwerkskünsten vieler Flüchtlinge lernen. Und Integration funktioniert bekanntlich auch über gemeinsames Arbeiten.“

– Daniel Heer

Die Konzentration auf das Thema Schlaf hat für ihn weniger medizinische, Lifestyle- oder Marketingrelevanz, sondern inzwischen eine gesellschaftliche, sogar politische: „Man hat eine Verantwortung“, sagt er. Damit meint Heer auch die Weitergabe der Herstellungsmethode, die er als „die hohe Kunst des Matratzenbauens“ beschreibt – ein Handwerk, das in Europa nur noch selten ausgeübt und in Deutschland nicht mehr gelehrt wird. Heer hat Freundschaft mit Flüchtlingen aus Syrien, Iran und Afghanistan geschlossen, die sich sehr für seine Arbeit interessieren. Jetzt plant er, die Werkstatt im Souterrain auszubauen. „Wenn ich weiß, da ist Engagement dahinter, kann ich das Handwerk auch weitergeben. Geschick allein reicht nicht, es muss eine Leidenschaft vorhanden sein“, erklärt er.

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Mit seiner Werkstatt stößt Heer schon länger an Kapazitätsgrenzen. „Ich finde es wichtig, den Flüchtlingen zu vermitteln, welches Potential in ihrer eigenen, ja oft sehr lebendigen und facettenreichen Handwerkskunst liegt, und welche Chancen sie damit auf unserem Arbeitsmarkt haben“, sagt er. Zunächst ist ein längerer Workshop angedacht, die Flüchtlinge lernen unter Heers Anleitung, Matratzen zu fertigen und werden dafür bezahlt. Für die Zukunft gewinnt Daniel Heer idealerweise ein oder zwei Mitarbeiter.

„Ich glaube, wir können viel von den Handwerkskünsten vieler Flüchtlinge lernen. Und Integration funktioniert bekanntlich auch über gemeinsames Arbeiten.“ Daniel Heer ist überzeugt, dass es gut ist für einen Menschen, der vor Krieg und Verfolgung fliehen musste, in Ruhe und Konzentration etwas zu schaffen, das als Produkt selbst Ruhe und Geborgenheit vermittelt. Und welches Produkt tut das mehr als eine Matratze?