Sie sind Marktführer in Sachen exklusives Papier. Ihr Knowhow schätzt man selbst in Hollywood: Gmund in Oberbayern fertigt Büttenpapier, seit 1829 schon. Seine goldenen Briefumschlägen machten es weltberühmt.
Natürlich hat man bei dem Namen eine Vorstellung: „Büttenpapierfabrik Gmund“. Vor fast 190 Jahren im bayerischen Mangfalltal gegründet, seit vier Generationen in Familienhand. Das schreit förmlich nach pittoresker Landschaft. Nach Holzhäusern, guter Luft und von Balkonen hinunter rankenden Geranien.
Und genau so ist es tatsächlich auch. Nur die Geranien fehlen. Stattdessen macht ein menschengroßes goldenes Firmenschild ordentlich Eindruck beim Besucher: „Gmund – Papierkultur seit 1829“ steht da in großen Lettern. Mit der Farbe Gold hat man bei Gmund Erfahrung, mit der Farbe wurde man hier berühmt. Seit sieben Jahren stattet der Traditionsbetrieb die Academy Awards mit seinen goldenen Briefumschlägen aus. So kam endgültig der Glamour nach Gmund, in die 6.000-Seelen Ortschaft am Tegernsee, die einst dem Unternehmen seinen Namen gab.
Glamourös sind die Kunden schon lange. Die Filmfestspiele in Cannes, die Regierung von Abu Dhabi, internationale Unternehmen wie Microsoft oder BMW. Wer auf Gmund-Papier grüßen lässt, möchte dem Adressierten vermitteln: das bist du mir wert. Dabei geht es um Stärke, Schwere und Beschichtungen, um deutsche Ingenieurskunst. Das Unternehmen mit seinen rund 120 Mitarbeitern gilt im exklusiven Papiersegment als unangefochtener Marktführer. Cannes zum Beispiel lädt auf Gmund Mohair ein, eins der besondersten Papiere des Herstellers. Wie hoch der Anteil des feinen Wollgarns in der Zusammensetzung ist, bleibt wie der gesamte Produktionsprozess Geschäftsgeheimnis. Das Papier Savanna erinnert durch seine Strukturen an Holz oder Blätter und das mit Steinstaub beschichtete Stone soll sich wie Beton anfühlen. Über 100.000 Papiere umfasst die Gmunder Kollektion. Getreidebestandteile werden dabei ebenso verarbeitet wie Rinde, Stroh und Torf. Produziert wird auf zwei Langsiebmaschinen, der ältesten Europas von 1883 und der jüngeren, von 1930.
Wir treffen den Mann hinter den Gmunder Exportkünsten: Florian Kohler, 54 Jahre, ist ein drahtiger Mann mit schnellem Schritt. Über sein hellblaues Hemd mit Bügelfalte trägt er, ganz praktisch, eine dünne Daunenweste. Man weiß ja nie, wohin einen der Tag noch so führt. Nun führt er zunächst die alte, schiefe Treppe hinauf. Und als hätte Kohler es eilig, nimmt er zwei Stufen auf einmal. Vielleicht kennt er die Treppe auch einfach zu gut. Schon viele, viele Male ist er sie schließlich hoch und runter geflitzt, einst war das Gebäude sein Elternhaus und der holzvertäfelte Konferenzraum, indem wir nun Platz nehmen, sein Kinderzimmer.
Herr Kohler, Sie haben eine sehr illustre Klientel: Hollywood stattet sich bei Ihnen aus, Marissa Mayer kauft ihre Hochzeitseinladungen bei Ihnen, das jordanische Königshaus ist auch Kunde. Wie finden die Sie?
Jeder gute europäische Designer und jeder sehr gute internationale Designer kennt uns. Klingt hochtrabend, ist aber wahr. Wenn ein Formel 1 Fahrer gerne BMW oder Mercedes fährt, erfährt das auch der interessierte Laie. Und es gibt eben diese Speerspitzen, die sich bei uns ausgestatten. Marissa Mayer, Oscar-Preisträger Leonardo di Caprio, Michelle Obama. Das spricht sich rum.
100 Euro soll Marissa Mayer jede Hochzeitseinladung wert gewesen sein: Mit Verlaub, welches Handwerk rechtfertigt solch einen Preis?
Nur so viel vorab: Die Einladungen haben mehr gekostet. (lacht) Der Preis basiert immer auf Angebot und Nachfrage, und in dem Fall war die Nachfrage groß. Die Kundin ist Milliardärin. Wir rieten ihr, sie möge das Papier bei uns kaufen und die Karten in den USA produzieren lassen. Sie verneinte. Was rechtfertigt das fachlich? Dass wir es bis ins Detail perfekt machen. Vielleicht kriegt man für den halben Preis irgendwo etwas Ähnliches, aber da steckt mit Sicherheit auch nur halb so viel Qualität drin.
Was genau macht die Qualität aus – zum Beispiel bei den Einladungskarten von Miss Mayer?
Es war eine Verpackung aus einem matten Grün. Innen haben wir die Karten für die unterschiedlichen Events mit unterschiedlichen Dicken bespielt, teilweise mit Baumwollpapier. Es ist tatsächlich ein Paradebeispiel für unsere Herangehensweise, denn für jeden Anlass gab es ein anderes Papier. Dieses langt der Betrachter an und bekommt unterschwellig vermittelt: Ah, das hier ist ein wenig dicker, flauschiger, an dem Abend wird es nobler. Und an dem sportlicher. Genau das ist Gmund: Wir wollen unterbewusst durch das Gefühl und die Optik des Papiers eine – Achtung, neudeutsch – Message mitgeben.
„Wir haben es mit einer Revolution zu tun. Schlimm ist das und wunderbar zugleich. Wir sind eigentlich ein Startup. Was letztes Jahr war, gilt nicht mehr.“
– Florian Kohler
Ausgerechnet eine Dame, die beruflich in der digitalen Welt zuhause ist, legt solch einen Wert auf Papier, sprich einem Material, mit dem sie sonst nichts zu tun hat. Finden Sie das ungewöhnlich?
Wenn ich immer nur in die Glotze schaue, gibt’s nichts Schöneres als zurück ins echte Leben zu kehren! Ich bin Fan moderner Kommunikationsgeräte, dennoch ist ein iPad für mich nichts anderes als eine Illusionsmaschine. Auch der größte Illusionär möchte mal etwas Echtes. Selbst unsere Kleidungsstücke sind fast immer auch aus Synthetik. Papier ist einer der letzten vollkommen natürlichen Werkstoffe der Welt. Bücher dürfte es eigentlich nicht mehr geben. Ein iReader ist so viel praktischer, das sage selbst ich, der Papiermensch! Trotzdem geht der Buchkonsum kaum zurück. Es heißt, die Menschen wollen nur noch in der digitalen Welt unterwegs sein – aber in Wirklichkeit will das niemand.
Wir schreiben immer weniger von Hand – das ist statistisch erwiesen.
Was gut ist!
Wie bitte?
Ja klar! Gegen Windmühlen zu laufen ist doch Unsinn! Man muss die richtige Anwendung finden. Auch wenn ich das in meiner Branche wohl nicht sagen sollte, aber ich finde es gut, wenn Informationen nicht auf Papier gebracht werden, bei denen es nicht zwingend notwendig ist.
„Früher wurden Kataloge gebraucht, um sich zu informieren, heute um sich inspirieren zu lassen. Die Auflagen sinken drastisch. Die Produkte werden raffinierter.“
– Florian Kohler
Und in Zahlen gesprochen: Wie viel weniger notwendig ist es heute auf Papier zu schreiben?
Wir haben es mit einer Revolution zu tun. Schlimm ist das und wunderbar zugleich. Wir verlieren 100 Kunden und gewinnen 110 dazu. Es ist ein rasender Prozess! Wir sind eigentlich ein Startup. Was letztes Jahr war, gilt nicht mehr. Früher war man in Hotels, jetzt macht man Airbnb, man fährt Uber nicht mehr Taxi – wenn man nicht Gas gibt und die Herausforderungen annimmt, wird einen alles überrollen.
Was bedeutet das für Gmund?
Früher gab es viele Glückwunschkartenhersteller. Ein wichtiger Kundenstamm für uns. Gibt’s kaum mehr. Früher wurden Kataloge gebraucht, um sich zu informieren, heute um sich inspirieren zu lassen. Die Auflagen sinken daher drastisch. Wie kann ich dem Automobil-, Kosmetik- oder Lebensmittelhersteller helfen, dass der mit einer emotionalen Information an seinen Kunden herangeht? Die Aufgabenstellung hat sich komplett gewandelt.
Billige Massenschokolade bis wahrer Luxus: die vielen Aussagen der Farbe Gold
Die Auflagen sinken, dafür werden die Anfragen exklusiver?
Sie werden raffinierter. Wir machen hier besondere Papiere, keinen Luxus. Wir versuchen bei den Kunden oft einen Gang rauszunehmen. Es geht ja darum, mit dem Material eine zielgruppenorientierte Wertigkeit ins Produkt zu bringen.
Sie machen keinen Luxus? Was machen Sie denn?
Luxus in der Papierwelt bedeutet, dass etwas unangepasst overdone ist. Zum Beispiel ein goldenes Papier für einen Automobilkatalog wäre Luxus. Wäre das Papier der Oscarumschläge jedoch nicht gold, wäre das schäbig. Wir beschäftigen uns hier viel mit Farben, haben eine eigene Farbtheorie entwickelt – manche Farben gelten in einem Bereich als Luxus, in einem anderen überhaupt nicht. Bei Schokolade gilt Gold zum Beispiel nicht als Luxus, sondern wird schlicht mit Schokolade assoziiert. Selbst Toblerone ist gold verpackt, und das ist billige Massenschokolade.
Eine eigene Farbtheorie – was müssen wir uns darunter vorstellen?
Wir haben ein Farbsystem, das heißt Gmund Colors. In der Papierbranche gab es so etwas nicht. Alle gängigen Farbsysteme wie Pantone oder RAL zeichnen sich durch einen Vorteil aus, der gleichzeitig der Nachteil ist: Sie haben immens viele Farben. Wenn ein Kreativer aber ein Produkt entwickelt, ist Zeit für ihn ein wichtiges Element. Je größer die Auswahl, desto länger braucht er, desto verunsicherter ist er, desto häufiger muss er Kollegen fragen. Wir haben drei Jahre lang geforscht und das kleinste unabhängige Farbsystem der Welt entwickelt. Mit 48 Farben, 24 ruhigen und 24 intensiven und acht Logiken. Die schwierigste Farbe ist Rot – weil man eigentlich 1000 Rot braucht, auch weil wir viel in Asien unterwegs sind und Rot dort extrem wichtig ist – aber wir haben eine Entscheidung getroffen und gesagt, das ist das beste Rot der Welt. Kann jeder mit uns streiten – aber das ist unsere Meinung.
Und das gilt für die gesamten 48 Farben: Sie kennen das beste Blau, das beste Grün, das beste Gelb?
Wir haben eine Mix and Match Technologie entwickelt mit der Garantie, dass wenn ich eine der 48 Farben mit einer anderen kombiniere, schaut das immer super aus. Also wenn morgen irgendein Markenartikler zu einem Designer kommt und sagt, ich will Rot mit Grau, dann legen sie das nebeneinander und es schaut gut aus.
High-Tech statt Handwerk – gefertigt in Gmund
Klingt nach Raketenwissenschaft. Ich stehe oft vorm Kleiderschrank und weiß nicht, was farblich passt, bis ich es ausprobiere.
Und genau so haben wir es gemacht. Wir haben Tausende von Farben miteinander kombiniert. Über Monate. Man kann das nicht theoretisieren. Die ganzen Farbenlehren, von Goethe oder Lüscher – das sind naturwissenschaftliche Ansichten, die nicht auf die Farbpsychologie eingehen. Und mit Farbpsychologie meine ich nicht: Rot gleich Angst, Grün gleich Sorgsamkeit.
Sie haben Kunden aus der ganzen Welt: Wer ist knauserig, wenn es ums Papier geht und wer prasst?
Jede Nationalität ist knauserig. Überall herrscht das kleinsparerische Loriot-Gen vor: „Am Papier kann man was sparen“. Die Vorstellung, wir fahren nach Dubai und da reißen sie uns das Papier aus der Hand, ist ein Trugschluss.
„Wir fahren hier bei Gmund Autobahn. Ganz kurz in den Rückspiegel zu blicken, ist okay, aber das Wichtige ist Vorwärtsfahren.“
– Florian Kohler
Inwiefern hat sich das Handwerk hier in den letzten 190 Jahren verändert?
Stark. Vor 190 Jahren war es Handwerk. Heute sind wir ein hochtechnisierter Betrieb. Wir können Papierbogen unter einer Genauigkeit von einem Millimeter in höchster Geschwindigkeit schneiden. Früher waren wir Handwerker, heute sind wir Hightech-Papier-Entwickler.
Das Unternehmen blieb fast immer in Familienhand: Welche Vorteile bringt das?
Es bringt für den Kunden den Vorteil, dass dahinter eine Familie steht, die langfristige Ziele hat – vielleicht sind sie eigen, aber man kann sie einordnen. Hat man einen fremden Manager, kann der nächste nach fünf Jahren kommen und der reißt wieder alles rum. Es ist grundsätzlich ein großer Vorteil für die Mitarbeiter, weil die Leute wissen, wie die Firma langfristig tickt. Für einen selbst, wenn man’s gerne macht, gibt es in guten Zeiten nichts Besseres als selbstständig zu sein und nichts Schlimmeres in schlechten Zeiten. Hoffen wir, dass die guten Zeiten weiterhin überwiegen, weil die schlechten sind wirklich nicht witzig. Hatten wir auch schon.
Sie sprechen von 2008 und 2009 – den Krisenjahren.
Im Nachhinein waren sie nicht so schlimm wie zunächst vermutet, aber die Nächte damals waren nicht gerade toll. Mein Vater sagte immer: Hätte mein Großvater sich nicht ordentlich gekümmert und die Firma nicht verändert, wäre sie nach zehn Jahren pleite gegangen. Hätten sie in seiner Zeit nach dem Krieg nicht richtig gewirtschaftet, wären sie pleite gegangen. Er prophezeite mir: Sollte ich mal zwei Jahre lang durchhängen, sind wir pleite. Genau so ist es. Wer nicht wie ein Startup, ein Gründer denkt, hat im Unternehmertum nichts verloren.
Machen Tradition und ein guter Ruf es nicht irgendwann einfacher?
Je älter man ist, desto mehr muss man sich anstrengen! Es ist gefährlich, sich selbstgerecht in dem Rückspiegel zu betrachten. Wir fahren hier Autobahn. Ganz kurz in den Rückspiegel zu blicken, ist okay, aber das Wichtige ist Vorwärtsfahren.