Jedes Stück Holz hat viele Geschichten zu erzählen. Lesen kann sie Fritz Unterkalmsteiner, einer der besten Drechsler Südtirols.
Hinter der Grenze rechts ab und dann nur noch geradeaus: Der Weg zu Fritz Unterkalmsteiner ist nicht kompliziert, nur schwindelfrei sollte man sein. Vom Brenner kommend, der ersten Ausfahrt und langen, kurvigen Straßen folgend, passiert man zunächst sattgrüne Wiesen, anschließend gewinnt man rasant an Höhe, zwischendurch liegt wieder Schnee, bis es plötzlich vor einem liegt, das prächtige Sarntal. „Willkommen“, sagt Fritz Unterkalmsteiner und strahlt. Der 50-Jährige ist Drechsler, seit 25 Jahren schon, einer der besten Südtirols.
„Ich sah bei einer Freundin diese Dose mit diesem sehr besonderen Deckel, da war ich noch ein Kind, und ich wusste: so was will ich auch können!“ Heute kann er sehr viel mehr als besondere Dosen drechseln. Er macht Treppen, Betten, ganze Häuser. Er sagt:„In all den Jahren musste ich noch keinen Auftrag ablehnen.“ Und: „Was bei mir als Rohling ankam, hat meine Werkstatt immer als fertiges Produkt wieder verlassen“.
„Da bin ich wie die Indianer und deren Mutter Erde: Holz ist ein Rohstoff, der hier bei uns wächst, ich verarbeite also jeden Tag ein Stück Heimat“.
– Fritz Unterkalmsteiner
Fritz Unterkalmsteiners Drechslerei ist einer von rund 70 Handwerksbetrieben im Sarntal, einer etwas abgelegenen Gemeinde zwischen italienisch-österreichischer Grenze und Bozen. Es ist eine bäuerlich geprägte Gegend, in der man seit vielen Generationen im Sommer auf dem Feld arbeitet und im Winter im Haus. „Die kalten Monate nutzte man, um alles zu reparieren. Deshalb gibt es so viele von uns heute.“
Zimmereien, Stickereien, Goldschmiede – die meisten Handwerksbetriebe haben sich zu der Wirtschaftsgemeinschaft MirSarner zusammengeschlossen. Man vermarktet sich gemeinsam und entwickelt Projekte, die auch mal innerhalb weniger Wochen realisiert werden. So auch die „Stube“, die im Sommer 2015 im Rahmen der Expo in Mailand zu sehen war. Architekten, Produktdesigner und klassische Handwerksbetriebe taten sich zusammen: Möbel, die in eine traditionelle Stube gehören, sollten neu interpretiert werden. Da wird die Küchenzeile schon mal zum Kochmobil auf Rädern und ein Stuhl erhält die Anmutung eines Barhockers aus Holz mit Ledersitz. Vier Wochen hatten sie Zeit – „das war schon kurzfristig, aber natürlich machten wir da mit“, sagt Unterkalmsteiner. „Wir müssen hier zusammenhalten, jeder für sich, das ergibt ja keinen Sinn!“
Das Sarntal
Das 16 Kilometer nördlich von Bozen gelegene Sarntal gilt als eine der unberührtesten Ecken Norditaliens. Es ist die flächenmäßig größte Gemeinde Südtirols. Wegen der abgeschiedenen Lage ihrer Heimat wurde hier schon immer viel selbst produziert und so findet man heute noch seltene Handwerkspraktiken wie z.B. die Federkielstickerei. Auch die aus der Sarner Latschenkiefer gewonnenen Naturheilmittel sollen der Sage nach bereits bei Hexen beliebt gewesen sein, heute sind sie vor allem in Luxus-Wellness-Hotels zu finden.
Fritz Unterkalmsteiner liebt sein Sarntal und sein Holz, „da bin ich wie die Indianer und deren Mutter Erde: Das ist ein Rohstoff, der hier bei uns wächst, ich verarbeite also jeden Tag ein Stück Heimat“. Er mag, wie dieses Stück Heimat riecht, wie es sich anfühlt und er liest gerne die Geschichten, die es zu erzählen hat. „Bei uns heißt es: Für Holz und für Frauen brauchst a Schneid“, sagt Unterkalmsteiner mit breitem Grinsen.
Fast etwas ehrfürchtig berührt er einen mehrere Hundert Jahre alten Holzstamm, der viel mehr sei als der Teil eines toten Baumes. Er lehre einen die Ehrfurcht vor der Natur. Er deutet auf die Jahresringe des Holzstamms. „Die kleine Eiszeit, die Europa Anfang des 18. Jahrhunderts besonders hart traf und unter anderem durch Vulkanausbrüche ausgelöst wurde, ist hier gut zu erkennen“. Betrachtet man das Holz, wird deutlich, dass die Jahresringe einst viel dichter beieinander lagen. Über Jahrzehnte wuchs der Baum viel langsamer als heute. „Ungefähr seit den 1960ern wuchs er dann wieder schneller – also seitdem sich das globale Klima besonders stark verändert“, sagt Unterkalmsteiner. Wir lernen: Ist es kalt, ziehen sich die Zellen im Holz zusammen, wird es warm, dehnen sie sich aus. „So einfach ist das. Wenn man sich vor Augen hält, wie viel schneller das Holz mittlerweile wächst, bleibt kein Zweifel: die Natur ist stark in Bewegung und die immer heißer werdenden Sommer sind keine Ausnahme.“
Wenn die Winzer in Südtirol klagen, wie sie es seit Jahren tun, über die zu warmen, zu trockenen Sommer, die langfristig eine Katastrophe für ihre Weine bedeuten können, dann wird Fritz Unterkalmsteiner das Herz ziemlich schwer. Er wolle keine Angst machen, sagt er, doch betrachtet man Holz, wird Zeit sofort relativ. „Wir sollten uns schon Mühe geben, mit unserer Erde nicht so viel Quatsch zu machen“.
„Zirbelholz beruhigt die Menschen – das ist wissenschaftlich erwiesen. Und Ruhe, ja, die brauchen wir doch heute!“
– Fritz Unterkalmsteiner
Dann wechselt er das Thema, schließlich will er auch von guten Neuigkeiten berichten. Zum Beispiel davon, dass sich in den vergangenen Jahren das Ästhetikempfinden der Menschen stark verändert hat, und das Bewusstsein für die Natur wieder stärker ausgeprägt ist. Früher sollten Oberflächen möglichst glatt und bloß keine Maserungen der Äste auf den Möbeln zu erkennen sein. „Doch ein Holz ohne Ast, wie sähe die Welt dann aus? Das ist wie eine Suppe ohne Salz!“, sagt Unterkalmsteiner. Seine Philosophie: Fast jedes Holz kann man verwenden, es kommt nur darauf an, was man draus macht. Mittlerweile sehen auch seine Kunden das so. Er holt ein großes Stück Apfelbaumholz hervor, es ist grob und rissig. „Früher sagte man: Rein ins Feuer damit! Doch Holz ist wie das Leben, das ist auch nicht immer glatt.“
Und obwohl er alle Hölzer liebt, hat er eines ganz besonders gern: das Zirbelholz. Das sehr harzhaltige Holz, dessen Samen Zirbelnüsse genannt werden und aus denen der berühmte Zirbelschnaps gebrannt wird, ist in Südtirol besonders viel zu finden. Die Zirbelkiefer wächst ab einer Höhe von 1.200 Metern und gilt als gesundheitsfördernd. „Schlafen Sie in einem Zimmer, wo Ihr Bett daraus ist oder Sie eine Kiste mit Spänen irgendwo stehen haben, schlägt Ihr Herz zehn Prozent langsamer. Das ist wissenschaftlich erwiesen! Zirbelholz beruhigt die Menschen,“ sagt Unterkalmsteiner. „Und Ruhe, ja, die brauchen wir doch heute.“