Messer, klar, ein Männerthema. Doch einen der erfolgreichsten deutschen Messerhersteller führt eine Frau. Giselheid Herder-Scholz machte die Marke Windmühlenmesser weltberühmt.
Eine Situation, die Giselheid Herder-Scholz so oder so ähnlich ständig widerfährt, geht folgendermaßen: Sie steht in einem klassischen Seminarraum, ein Messerseminar steht an. Die Teilnehmer finden sich ein, über 90 Prozent davon sind Männer. Mit ihren Blicken suchen sie nach der Seminarleitung. Einer sagt: „Ich muss mich im Raum geirrt haben, ich bin für ein Schärfseminar angemeldet“. Wenn Giselheid Herder-Scholz erklärt, dass alles seine Richtigkeit habe und sie das Seminar heute leite, erkennt sie zuerst Skepsis, dann Enttäuschung in den Blicken der Teilnehmer. „Nach zehn Minuten hat sich das erledigt“, sagt Herder-Scholz und lacht, „Sobald die begreifen, dass ich auch wirklich jede Frage beantworten kann, sind die Vorbehalte vergessen.“
Die 55-jährige zierliche Frau mit der langen, wilden Mähne und den großen Augen hat gelernt, mit ihr entgegen gebrachten Zweifeln umzugehen. Sie weiß sich zu behaupten und im Laufe eines Nachmittags wird klar, wie schwer ihr das beizeiten gefallen sein muss. „Kompetenzaufbau – das ist mein Schlüsselwort. Ich rate jeder jungen Frau, die beruflich etwas erreichen will: Mache die Sachen von Grund auf. Damit du Bescheid weißt und nichts erwartest, was du nicht erwarten kannst“, sagt Giselheid Herder-Scholz.
Es ist ein früher Freitagnachmittag, die Sonne scheint und Herder-Scholz führt zügigen, bestimmten Schrittes über das weitläufige, seit Gründungstagen an selber Stelle ansässige Firmenareal im Westen Solingens. Wer sich zu ihr aufmacht, für den nimmt sich die Unternehmerin Zeit. Stolz schwingt mit, wenn sie von den Höhen und Tiefen der Firmengeschichte berichtet, jeden Produktionsschritt im Detail erklärt.
Bereits im Hohen Mittelalter gab es in der Kreisstadt in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Schmiede und Messerhersteller von exzellentem Ruf. Adel und Königshäuser setzten auf die Erzeugnisse aus Solingen, im 16. und 17. Jahrhundert erlangte die Stadt Weltruhm. Inzwischen trägt Solingen den Titel „Klingenstadt” sogar im Ortsschild und der Stadtname ist markenrechtlich geschützt. Seit 1938 darf ein Schneidwerkzeug sich mit dem Titel Solingen nur dann vermarkten, wenn es dort auch wirklich produziert wurde.
In der Stadt, die als Klingenstadt weltweit bekannt ist, waren um 1970 noch 300 Messerbetriebe beheimatet – heute sind es noch 27. Herder-Scholz’ Ur-Großvater Robert Herder gründete das Unternehmen 1872 in dem heute mit weißen Rosensträuchern bewachsenen Backsteingebäude. Ein Schriftzug zeugt von dieser Zeit: „Stahlwaren-Fabrik von Robert Herder“ steht in großen schwarzen Lettern auf der Fassade. Im Laufe der Generationen sind einige Gebäude auf dem Firmengelände dazugekommen. Heute werden hier täglich 3.500 Messer von 74 Mitarbeitern gefertigt, damit sind die Kapazitätsgrenzen seit langem erreicht. Der Umsatz ist in den vergangenen zehn Jahren um rund 40 Prozent auf 5,2 Millionen Euro im Jahr gestiegen. 29 Jahre ist Giselheid Herder-Scholz im Unternehmen tätig, seit 23 Jahren führt sie es in vierter Generation. Die Wurzeln ihrer Familie in der Branche reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Dass sie einmal die Führung der Firma übernehmen würde, war nie geplant. „Ich rutschte als Platzhalter ins Unternehmen“, sagt sie.
„Da gab es harte Schlagabtäusche. Ich meinte zu meinem Vater: Ich brauche die Firma nicht, ich gehe morgen zurück zu meinem alten Arbeitgeber“.
– Giselheid Herder-Scholz
Sie, die Platzhalterin, hat das Unternehmen aus seiner schlimmsten Krise geführt und es weltweit bekannt gemacht. Heute sind Windmühlenmesser in 14 Ländern weltweit erhältlich, die Hälfte des Umsatzes wird durch den Export erwirtschaftet. Doch eigentlich war Giselheid Herder-Scholz lediglich durch Zufall in das Unternehmen ihres Vaters eingestiegen, mehrere Schicksalsschläge in der Familie führten dazu, dass sie als seine einzige mögliche Nachfolgerin übrig blieb.
Dennoch konnte sich ihr Vater erst kurz vor seinem Tod dazu durchringen, seiner Tochter, einer Frau, die Firmenleitung zu übertragen. „Da gab es harte Schlagabtäusche. Ich meinte zu ihm: Ich brauche die Firma nicht, ich gehe morgen zurück zu meinem alten Arbeitgeber“, sagt Herder-Scholz. Ihren Frieden habe sie trotz allem schon früh mit ihm gemacht. Er kam aus dem Krieg, hatte Schlimmes erlebt. Sie selbst wisse aus eigener Erfahrung, welchen Stellenwert eine Arbeit bekommen kann, wenn alles drumherum aus den Fugen gerät: „Da stürzt du dich drauf, das gibt dir Halt und Kraft und dann wird das alles unglaublich wichtig“.
„Gute Messer sind von Hand gemacht” ist das Credo der 1872 von Robert Herder gegründeten Marke. Die Wurzeln der Familie in der Branche reichen jedoch viel weiter zurück, der Name Herder zeugt davon. Der kommt von Härter. Schon im 17. Jahrhundert härtete die Familie Metalle. Heute ist Windmühlenmesser für den Solinger Dünnschliff bekannt. Bei dem traditionellen Fertigungsprinzip wird der Schliffwinkel, anders als heute üblich, weit oben angesetzt, so dass die Klinge schlank und spitz auf die Schneide zuläuft. Einige Serien lässt die Firma noch blaupließen – ein spezieller Klingenfeinschliff und eine der aufwändigsten Schleiftechniken der Branche. Hier wird die Klingenoberfläche von Hand mittels einer Schmirgelpaste auf rotierenden Leder- oder Filzscheiben feingeschliffen.
Aus den Fugen geriet plötzlich auch einiges im Unternehmen. Kurz nach dem Tod ihres Vaters gingen sämtliche Zahlen auf Talfahrt. Überalterte Mitarbeiter, Qualitätsprobleme, das Schwächeln einiger Märkte und ein Plagiatsfall in Belgien machten Windmühlenmesser schwer zu schaffen. „Ich bin kein ängstlicher Mensch, aber da dachte ich: Scheiße, du schaffst das nicht. Bist du jetzt etwa diejenige, die diesen Laden vor die Wand fährt?“, sagt Herder-Scholz.
Im Laufe der Jahre habe sie gelernt, Mut aus sich selbst zu schöpfen, sie sagt: „Ich bin eine Verfechterin der kleinen Schritte, denn die sind immer fundamentiert“. Ihr erster kleiner Schritt hinaus aus dieser Krise war ein Schritt zurück: Raus aus ihrer Perspektive und versuchen, sich einen Überblick zu verschaffen. Die Marke Windmühlenmesser war und ist noch heute bekannt für die besonders scharfen Klingen, die sie seit über 100 Jahren nach derselben Fertigungstechnik herstellt – dem so genannten „Solinger Dünnschliff“. Doch die Unternehmenskrise zeigte, dass es höchste Zeit war, sich nicht länger auf diesem Ruf auszuruhen.
Herder-Scholz ahnte: Wenn sie von jemandem etwas lernen konnte, dann von den für ihren Perfektionismus bekannten Japanern und deren Expertise im Messergeschäft. Sie reiste zu ein paar Spezialisten nach Tokio, doch ihre Produkte kamen nicht gut an. „Bis ich ein altes, von meinem Großvater geschmiedetes Messer aus der Tasche holte“, erzählt Herder-Scholz, „ein von freihand und breithammergeschmiedetes Messer von 1922“. Sofort holten die Japaner ein Tuch zum Darunterlegen – für die Wertschätzung. Einer sagte, dass er jetzt doch verstehen würde, warum Solingen weltweit einen solchen Ruf genieße. Und Herder-Scholz erhielt endlich ein offenes Wort. „Danach war klar: wir waren nicht gut genug! Nicht genau genug! Vor allem die Griffe waren ein Problem“, sagt Herder-Scholz und ihre Stimme überschlägt sich, wenn sie von diesem Moment berichtet. „Das war ehrlich schmerzhaft zu hören, aber sie hatten recht!“
Zurück in Solingen musste sie, die neue Chefin, dem Team erklären, dass deren Produkte nicht gut genug waren. „Ich kontrollierte jedes Stück, das nach Japan gehen sollte – fünf bis sechs Mal schickte ich die Messer zurück in die Produktion“, sagt sie. „Dabei kassierte ich natürlich jede Menge Sprüche. Einer sagte: Was für die Belgier funktioniert, wird für die Japsen wohl auch reichen!“ Doch Herder-Scholz blieb standhaft. Heute ist Japan nicht der absatzstärkste, aber für das Image der Firma der wichtigste Markt. „Wird dein Produkt in Japan verkauft, hast du ein anderes Standing“, weiß sie.
In Japan lernte Herder-Scholz viel über die Sensibilität für Qualität. Die Firma hatte zwar ein Sammelsurium an guten Messern, aber es stand kein Konzept dahinter. Es gab weder stimmige Serien noch ein Premiumprodukt. Also überarbeitete sie das Sortiment, entwickelte Kollektionen. Sie recherchierte die Geschichten der einzelnen Produkte und lieferte diese den Kunden beim Kauf mit. Sie grübelte, welches Produkt als Eintrittskarte in die Geschäfte dienen könnte, in denen die Marke Windmühlenmesser noch nicht zu finden war – wie beispielsweise das KaDeWe in Berlin. Sie beschloss, ein Produkt zu ihrem Aushängeschild zu machen, das nicht von ihnen stammte: importierte, japanische Messer. „Mit der Entscheidung stand ich dann endgültig alleine da“, bekennt Herder-Scholz. „Du verrätst Windmühle, hieß es“.
„Wir haben’s hier mit Messern zu tun, politische Konflikte können wir uns einfach nicht leisten!“
– Giselheid Herder-Scholz
Am Ende ging der Plan auf – die japanischen Messer wurden zu den erhofften Türöffnern. Heute steht Windmühle sehr gut da, das Durchschnittsalter der Mitarbeiter ist von 55 auf 32 gesunken. Das Wissen über die traditionellen Fertigungsmethoden wie das „Blaupließen“, die aufwändigste Form des Feinschliffs, wird von den älteren an die jüngeren Generationen weitergegeben. Im Gegensatz zu den meisten in Deutschland produzierenden Unternehmen hat Windmühlenmesser keine Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. „Wir sind hier ein ziemlich bunter Haufen“, sagt Herder-Scholz. Ihre Mitarbeiter kommen aus Russland, Italien, der Ukraine, der Türkei. „Auch wenn das Handwerk seine Eigenheiten mit sich bringt, das Team funktioniert gut!“ Bis auf einmal, während des Bosnienkrieges. Öfter gab es Schlägereien zwischen serbischen und kroatischen Angestellten, einmal wurde es besonders heftig. Also ging sie dazwischen und rief: „Wir haben’s hier mit Messern zu tun, politische Konflikte können wir uns einfach nicht leisten!“ Herder-Schulz setzte sich durch: „Danach war Ruhe“.